Zu Besuch in „Hogwarts“

Ein Erasmus+ Erfahrungsbericht

von Fabienne Heßberg

Abb. 1: ISLK, von den Kindern auch „Hogwarts“ genannt

Es war ein ganz normaler Schultag kurz vor dem N.E.W.T. („Nastily Exhausting Wizarding Test“), als eine Lehrerin auf uns Schüler zukam und von der neuen Möglichkeit erzählte, durch ein Praktikum eine uns bisher unbekannte Welt zu entdecken. Einige mutige Hexenmeister und Zauberinnen zeigten sofort Interesse und trafen alle notwendigen Vorbereitungen. Und so machte auch ich mich ein paar Wochen später auf den Weg aus dem überschaulichen Scheyern in ein großes, zauberhaftes Land namens Schweden.

Meine Reise begann zunächst etwas turbulent. Da ich als junges Mitglied der Schule für Hexerei und Zauberei noch nicht apparieren darf, musste ich mich auf den alt bekannten Expresszug verlassen. Wie jedoch jeder weiß, sind Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit nicht die größten Stärken der damit einhergehenden Reisegesellschaft. Auf der verzweifelten Suche nach Gleis Neun Dreiviertel machte sich eine gewisse Unmut in mir breit. Nachdem sich mein Gemüt nach einer ca. 18 Stunden langen Fahrt zwischen den Extrema wahnsinniger Aufregung und absoluter Langeweile eingependelt hat, habe ich dann doch endlich mein Ziel erreicht. Das Städtchen Lund zog mich mit seinen nächtlichen Lichtern sofort in den Bann.

Abb. 2: Botanischer Garten Lund

Am nächsten Tag führte mich ein dort angestellter Lehrer durch seine Heimat. Neben Einkaufsmöglichkeiten bezüglich Lebensmitteln und Kleidung, vielen Restaurants und kleinen Cafés zeigte er mir auch meinen Arbeitsplatz für die nächsten zwei Wochen, die International School of Lund (ISLK). Seine wichtigste Lehre: regelmäßige Kaffeepausen mit sog. Schnittchen und Kuchen sowie Gemütlichkeit sind das A und O für echte schwedische Lebensqualität! Wahrscheinlich hatte ich dieser Devise meine kurzen Arbeitszeiten von 6,5 Stunden pro Tag zu verdanken. Müde aber zufrieden hatte ich den ersten Tag geschafft und legte mich schlafen.

Mein erster Arbeitstag begann um 8:15 Uhr. Meine Aufgabe war es, bei der Ausbildung kleiner Zauberlehrlinge im Alter von 4 bis 10 Jahren zu helfen. Sie kamen aus aller Welt: Polen, Frankreich, Japan, Brasilien, den USA, Indien und noch vielen weiteren Ländern. Natürlich fragte ich die meisten von ihnen, was sie an die ISLK (International School of Lund) führte. Anstatt einer passenden Antwort auf meine Frage bekam ich zu hören, dass ich nicht an der ISLK sondern in Hogwarts zu Besuch sei. Natürlich glaubte ich das nicht und forderte meine Schüler auf, mir das zu beweisen. Gesagt, getan – mit großer Eifer begannen sowohl die dort anwesenden Lehrkräfte als auch Schüler mir sämtliche Beweise aufzuführen, dass ich hier nicht an irgendeiner schwedischen Schule gelandet bin, sondern die Ehre habe, nun ein Teil der IB (International Baccalaureate) Schulgemeinschaft von Lund zu sein. Nicht nur, dass die Schule von außen tatsächlich wie ein kleines Schloss, eine heile Welt für sich aussieht, sie erklärten mir auch, dass alle Fächer (Englisch, Schwedisch, Mathe, Sport, Kunst und Musik) nach einem mit Montessori vergleichbaren Prinzip unterrichtet werden. Das besondere daran ist, dass bei der Ausbildung der Kinder von Beginn an im Alter von 2 Jahren sehr viel Wert auf eigenständiges Denken und Handeln nach sog. Key Concepts gelegt wird. Auf spielerische Art und Weise lernen sie mit 3,5 Jahren das Alphabet und Zahlen, beginnend mit dem eigenen Namen und Geburtsdatum bis hin zu kurzen Sätzen.

Schüler der PYP1 basteln das hungrige „A-Krokodil“

Zur Wissensvermittlung werden – im Gegensatz zu vielen deutschen Schulen – nicht mehr nur Bücher eingesetzt, sondern auch ein sog. Laptop, welches mit Hilfe einer Sache namens Internet in der richtigen Anwendung nahezu allwissend scheint. Jeder Schüler, der über 10 Jahre alt ist, besitzt eins. Laptops werden zum Lernen, für gemeinsame Klassenaktivitäten uvm. eingesetzt. In Form von Musik, Mitmach-Videos und Slide Shows über ein Whiteboard wird wirklich jeder Schüler zum Mitmachen animiert.

Zugleich kommt auch das Zurechtfinden im alltäglichen Leben nicht zu kurz. Fragen wie „Wer sind wir?“, „Was ist eine Schulgemeinschaft?“ oder „Wie verhalte ich mich richtig?“ sind hier zentral zur Selbstfindung und zum harmonischen Miteinander.

Abb. 2: gemeinsam erarbeitete Verhaltensregeln der Klasse PYP1

Aber natürlich wird nicht nur gelernt, sondern auch Pause gemacht und draußen gespielt. Die wichtigste Pause am Tag ist das Mittagessen, welches die Schule zahlt. Das Hauptgericht ist immer frisch zubereitet und gesund. Lebensmittel wie Fisch und Kartoffeln, kleine Mengen Fleisch oder Gemüsesuppen stehen an der Tagesordnung. Ergänzt wird das Essen durch eine Salatbar mit vielen verschiedenen Gemüsesorten und der Crisp Station. Hier können sich die Kinder als Nachtisch an einer schwedischen Spezialität, dem „Smörrebröd“ (= Knäckebrot mit Butter), bedienen. Abgerundet wird das Essen mit ein bis zwei Gläsern Milch.

Auch nach der Schule wird gut für die Jüngsten der Gesellschaft gesorgt. Im ASP (After School Program) sorgen Freizeitpädagogen mit gemeinsamen Aktivitäten wie Hallensport, Kochen, Backen und Kunstkursen für eine Menge Spaß. Der Schultag endet dann für die Letzten um 17:30 Uhr.

Die für mich persönlich beeindruckendste Erkenntnis war, dass die Kinder ihre Lehrerinnen und Lehrer mit Vornamen ansprechen und eine Klasse mit max. 25 Kindern immer von zwei Pädagogen betreut wird: einer Lehrkraft und einem Fachpädagogen. Zusammenfassend ist also zu sagen, dass IB ein sehr lebensnahes System ist, welches eine persönliche Bindung zwischen den Lehrkräften und Schülern garantiert. Probleme wie Rassismus existieren hier aufgrund der vielen Nationalitäten nicht, Inklusion ist ein Wort, welches besonders großgeschrieben wird. Kurz um: das soziale Miteinander funktioniert hervorragend, da das Konzept von gegenseitigem Respekt von Klein auf gelehrt wird.
Nachdem ich diese besondere, gesellschaftlich so fortgeschrittene Art von Schule kennenlernen durfte, ist mir auch klar, warum die Kinder von der Zauberschule Hogwarts reden.

Natürlich habe ich nicht nur die Magie der Schule, sondern auch der umliegenden Umgebung genossen. Mein Highlight war eindeutig der Besuch Kopenhagens! Hier kann jeder fündig werden: Shopping in Strøget, einer der größten Fußgängerzonen Europas, Kunst in der Glyptothek, Kultur in den vielen verschiedenen Museen, gutes Essen und Kaffee in den kleineren Straßen etwas abseits oder auch die bekannten Orte wie Nyhavn oder die Statue der kleinen Meerjungfrau ziehen Touristen aus der ganzen Welt an. Aufschlussreiche Begegnungen mit netten Muggeln sind hier garantiert. Aber Vorsicht! Zauberstäbe wie der Eldastab sind hier nicht funktionsfähig, daher immer genügend Bargeld, besser eine EC-Karte mitnehmen (und den Kontostand im Blick behalten…).

Abb. 4: Nyhavn, CPH

Nach zwei Wochen voller neuer Eindrücke, Ideen und neuen Freunden sowohl aus der Muggel- als auch der Zauberwelt von Hogwarts musste ich mich wieder auf den Heimweg machen. Der Zauberexpress „Snälltåget“ hatte glücklicherweise keine Verspätungen, wodurch ich mich nach 14 Stunden Fahrt wohl und sicher wieder zuhause einfand.

Rückblickend bin ich sehr dankbar, einen kleinen Einblick in eine andere Welt erhascht haben zu dürfen. Ich habe neue Eindrücke in der Kunst und Kultur gewonnen, Freunde kennengelernt und bin täglich an meinen Aufgaben gewachsen. Das Praktikum in „Hogwarts“ hat mir noch einmal verdeutlicht, wie vielfältig der Lehrerberuf ist und mir eindeutig dabei geholfen, mich bezüglich meines Studiums auf eine bestimmte Fachrichtung zu profilieren.